Assim (14.3.2011 – 15.4.2022)

Am Karfreitag, den 15.4.2022, mussten wir von unseren geliebten Assim Abschied nehmen.

Vor elf Jahren kam Assim durch Casa Animalis als Welpe zu uns. Die Jahre, die wir mit ihm gemeinsam leben durften, waren die schönsten unseres Lebens. Für unsere kleine Familie war er das größte Geschenk.

Er war ein wunderschöner Hund; tausende Male sind Menschen bewundernd stehen geblieben und verwickelten uns in Gespräche.
Er war ein sehr gutmütiger und geduldiger Hund, der in ruhigem Vertrauen auch unangenehme Situationen wie den ein oder anderen Besuch beim Tierarzt ertragen hat.
Er war unglaublich lustig; er liebte es zu spielen und zu zeigen, wer der Schnellste von uns ist. Er war so zärtlich und anschmiegsam und er hatte das weichste Fell, das man sich vorstellen kann. Er liebte Wiener Würstchen, lange Waldspaziergänge, andere Hunde. Oft war er ein wenig schüchtern gegenüber anderen Hunden, doch wir spürten, wie sehr er sich wünschte, anerkannt zu werden. Immer, so gut wie immer war er freundlich zu ihnen.
Er liebte es, sich den schönsten Platz in unserem Bett auszusuchen, wenn er diesen auch meist verlassen musste. Er wusste, was „Rück!“ bedeutete.
Er hasste es, fotografiert zu werden, Medikamente einzunehmen und, wenn auch höchstens einmal im Jahr, geduscht zu werden.
Er liebte fremde Untergründe und tobte sich auf Sand, Moos, Rindenmulch und anderen Entdeckungen völlig aus.
Er duldete keine Störenfriede auf dem Grundstück, ob freche Katzen oder unschuldige Hermes-Boten, und bellte sie von seinem Stammplatz im Flur aus an. Doch ihm genügte ein kurzes Schnuppern, um jeden Gast mit derselben Freundlichkeit und Höflichkeit aufzunehmen, mit der er mit allen Wesen umging. Er war sogar zu den ganz wenigen Menschen freundlich, die keine Hunde mögen, auch wenn die seine Güte nicht verdient hatten.
Er liebte es, lange gestreichelt zu werden, und ganz selten suchte er Schutz unter meiner Jacke oder meinem T-Shirt, z.B. während einer Fahrt auf einem Holzkahn in Canterbury; das war ihm nicht ganz geheuer.
Bei Wanderungen auf unzähligen Traumschleifen lief er gern ein wenig vorweg, doch alle paar Meter schaute er sich nach uns um, immer sorgte er dafür, sein Rudel zusammenzuhalten.
Die Rituale, die wir mit ihm teilten, fehlen uns unendlich.
Die Begrüßung, wenn wir von der Arbeit nach Hause kamen. Das aufgeregte Trippeln von einem Bein aufs andere, bis er uns endlich ablecken durfte.
Das langsame Entdecken und dann die unbändige Freude, wenn er jemanden von uns in der Stadt entdeckte, der sich für wenige Minuten entfernt hatte, um ein Brot zu kaufen.
Die ungestüme Aufregung, wenn er das Wort „Spazieren“ hörte; das Suchen nach der Leine, das Verschleppen unserer Wanderschuhe, bis es endlich losging. Die Diskussionen, dass ich ohne Schuh nicht spazieren kann.
Die Rückkehr nach einem Spaziergang, auf dem ich ihn nicht begleitet hatte; das In-Windeseile-die-Treppe-Heraufrennen, um sich in meine Arme zu werfen und gesagt zu bekommen: „Mein guter Freund. Mein guter Freund ist wieder da.“ Niemals habe ich an dem Wortlaut auch nur eine Silbe geändert.
Die „dollen fünf Minuten“ nach der Begrüßung, die herausfordernde Spielhaltung, das Durchs-Büround-über-den-Balkon-Hetzen in der Hoffnung, ich liefe hinter ihm her, was ich natürlich auch tat.
Das morgendliche Wecken mit einem Stofftier im Maul, die Freude, seine kindliche Fröhlichkeit wahrzunehmen.

Das Ruhen unter meinem Schreibtisch am Nachmittag, wenn ich Korrekturen zu bearbeiten hatte und er einfach nur den weichen Teppich, das geschützte Dach über sich und meine Nähe genoss. Das stundenlange Laufen um den Esstisch herum, beim scheinbaren Versuch, ihm ein Kuscheltier abzunehmen, obwohl wir doch eigentlich nur seine Freude am Schnellersein genossen.
Das abendliche, sanfte Schnarchen, das mich niemals gestört hat.
Das nächtliche Sich-besonders-laut-Fallenlassen, damit irgendjemand wach wurde.
Das Heulen, wenn einmal im Monat die Sirene für einen Probealarm losging.
Das sanfte Herunterdrücken der Türklinke, wenn er später als wir in einen neuen Raum kam, in den er uns folgen wollte. Er konnte sich all die Jahre die Türen selber öffnen, bis er schließlich zu schwach dazu wurde.
Er war ein zutiefst gütiger Hund, der seine Grenzen kannte und sich nicht scheute, sich für einen Fehler zu entschuldigen. Der selbst voller Vergebung war und jeden Fehler auf unserer Seite mit unveränderter Liebe akzeptierte und so ein Vertrauen und ein Einvernehmen zwischen uns schuf, das seine tröstliche Kraft in jeder traurigen Stunde entfaltete.
Als er krank wurde, handelte nur mein Unterbewusstsein; seine Kommunikation war stets so deutlich, dass jedes Verständnis wenn, dann nur an uns scheiterte. Wenn er sich elend fühlte, schloss er die Augen zur Hälfte. Eine Frage war seinem Gesicht so deutlich abzulesen wie eine Bitte oder eine Entschuldigung.
Und das alles fehlt nun so unbarmherzig.
Er versuchte noch zwanzig Tage nach seiner Operation, uns nicht allein zu lassen. In dieser Zeit konnten wir uns zumindest auf einen Abschied einstellen und alles tun, was in unseren Möglichkeiten stand, um ihn wieder aufzupäppeln. Wenigstens war diese Zeit von der Hoffnung geprägt, dass ihm noch ein paar Monate blieben. Doch ein aggressiver Krebs, der in weniger als drei Monaten gewachsen war und bereits metastasiert hatte, konfrontierte uns mit der Wirklichkeit: Wir würden Assim verlieren. Als er sich fast von allen Begleiterscheinungen erholt hatte, schlug der Krebs nach nur zwanzig Tagen an anderer Stelle zu; wieder verlor Assim die Hälfte seines Blutes, doch eine zweite Operation war ihm nicht zuzumuten. Der endgültige Abschied traf uns wie ein harter, eiskalter Schlag ins Gesicht. Wir waren nicht vorbereitet, wir waren nicht bereit.
Als einziger Trost schob sich der Gedanke an die Oberfläche unseres Bewusstseins, dass wir zu dritt gewesen waren, als wir ihm Erlösung schenkten, dass wir den richtigen Zeitpunkt erwischt hatten, dass wir alle drei frei hatten und auch danach noch ein wenig gemeinsame Trauerzeit hatten, und vor allem, dass wir ihn weder auf eigene Gefahr mit nach Hause genommen noch ihn über Nacht in der Klinik gelassen hatten. In beiden Fällen wäre er allein gestorben, in der Nacht, einsam, ohne unsere streichelnden Hände und liebevollen Worte, und in beiden Fällen hätten wir uns wohl für immer Vorwürfe gemacht.
Als wir von ihm Abschied genommen hatten, erschien am Himmel ein Regenbogen, ein kleines  Segment nur, wie ein Steg. Die Kraft dieses Zeichens, der Umstand, dass Karfreitag war, all das überschwemmte unsere Trauer mit einer so starken Symbolkraft, dass wir das Gefühl hatten, nie mehr heilen zu können, und doch auch das Gefühl hatten, dass es ihm nun besser ginge, auf einer grünen Wiese, inmitten vieler freundlicher Hunde, ohne Durst, ohne Schlappheit, ohne Schmerzen. Unter der zärtlichen Hand Gottes geborgen.
Wir hatten uns für eine Einäscherung entschieden, doch sein wunderschöner Körper, mit dem er so intensiv gelebt hatte, geschnuppert und geleckt hatte, gesprungen und gelaufen war, konnte nicht dieses Ende nehmen, wie wir feststellten, nachdem er eingeschlafen war. So empfingen wir ihn am Ostermontag aus den Händen der Klinik. Wie man ihn in seinem letzten Bettchen auf seiner Lieblingsdecke mit seinem Kissen arrangiert hatte, werde ich niemals vergessen: So weich war er, so süß, er wirkte, als ob er schlafe. Assim war zuhause, er war nach Hause gekommen, er war in seinem Garten.